Karnevalsoper
Karneval ist eine abgegrenzte Zeit der verkehrten Welt, die am Aschermittwoch mit der vorösterlichen Fastenzeit endet. Karneval ermöglicht, in eine andere Rolle zu schlüpfen, die sozialen Hierarchien umzukehren, die gewohnten Regeln auf den Kopf zu stellen und angesehene Persönlichkeiten zu parodieren – kurz, die Regentschaft eines "Narrenkönigs", der am Ende der Karnevalszeit wieder abgesetzt wird. Damit wird auch die gewohnte, gottgewollte Ordnung wiederhergestellt und als die "richtige" bestätigt. Der Wiener Hof und insbesondere der Kaiser bemühten sich jedoch im Sinne einer öffentlichkeitswirksamen Repräsentationsstrategie, trotzdem um die Wahrung einer gewissen Würde: Der Karneval am Hof bedeutete keine ausschweifenden Feierlichkeiten, sondern durch ein Zeremoniell festgelegte und inszenierte Feiern, die entsprechend mit einer gewissen ernsthaften und steifen Würde begangen wurden.
Die höfischen Karnevalsfeiern waren somit strikt von den Veranstaltungen des Volkes getrennt. Der Hof erfreute sich besonders an Maskenbällen und Verkleidungen mit der Möglichkeit zum Rollentausch (v.a. bei den "Wirtschaften"), an Bällen, Tänzen, Konzerten, Komödien, Aufzügen, Turnieren, Karussells, Rossballetten, Schlittenfahrten, Illuminationen, Feuerwerken, Jagden und weiteren Vergnügungen. Dazu gehörte auch mehrere Aufführungen einer jährlich neu komponierten, großen Karnevalsoper, die von 1711 bis 1725 von Francesco Bartolomeo Conti komponiert wurde. Auch in der Oper wahrte der Hof eine gewisse Contenance und brachte selbst im Karneval keine reinen Komödien zur Aufführung. Das Komische hatte in der Tradition der venezianischen Oper üblicherweise nur in von der Haupthandlung unabhängigen Intermezzi zwischen den Akten Raum. Mit der tragicommedia in musica entwickelte sich eine neue Gattung, in der sich die beiden Extreme – Ernst-Tragisches und Komisches bzw. hoher und niederer Stil – miteinander vermischen. Die Libretti nehmen dabei karnevaleske Elemente wie Verkleidungen, Rollentausch (z. B. König – Diener), Scheinkönige oder ausschweifende Verhaltensweisen auf, die teilweise auch eine versteckte Kritik an höfischen Verhältnissen beinhalten.
In Pariatis und Contis Penelope sind die beiden komischen Rollen Dorilla und Tersite Teil der Haupthandlung, die großen komischen Szenen befinden sich jedoch an den traditionellen Stellen für Intermezzi, nämlich an den Schlüssen des I. und II. Aktes. Ulisse ist ein tragikomischer Charakter, der den Ansprüchen an seine Rolle als Held bzw. idealtypischen König und somit als Identifikationsfigur für einen Herrscher nur teilweise gerecht wird.
Conti setzt die verschiedenen Charaktere und die karnevalesken Elemente plastisch und einfallsreich in Musik; wie schon Johann Mattheson bemerkte: "Conti [...] war in solchen Abbildungen der Geberden durch musicalische Noten (wo ist denn der Kunst=Verlust?) ungemein erfahren, und seine Einfälle führen auf dem blossen Papier fast eben die ergetzliche Wirckung mit sich, als ob man mit Augen allerley lächerliche, lebendige Posituren vor sich sähe." (Johann Mattheson, Der vollkommene Capellmeister, Hamburg: Christian Herold, 1739, S. 40 §46). Komisches äußert sich vor allem in grotesken Übertreibungen wie übergroßen Sprüngen, schnellem Plappern, Stottern, extremen Tonlagen, starken und abrupten Kontrasten, Parodien, betonter Banalität sowie Nachahmungen von Klängen und Geräuschen. Auch in der Penelope präsentiert Conti eine Vielzahl an komischen Effekten, die in Kontrast mit den seriösen Charakteren die Doppelbödigkeit der karnevalesken wie der höfischen Scheinwelt spiegeln.
Literatur
Konstantin Hirschmann, "'Mezzanità de' caratteri e dello stile?': die tragicommedia per musica nördlich und südlich der Alpen", in: Musicologica Brunensia 53, 2018, S. 99–108. https://hdl.handle.net/11222.digilib/140868
Livio Marcaletti, "La tragicommedia per musica alla corte di Vienna nel primo Settecento. Un genere di importazione o una creazione della corte imperiale?", in: Römische historische Mitteilungen, 65. Band/2023, S. 115–133.
Claudia Michels, Karnevalsoper am Hofe Kaiser Karls VI. 1711–1740. Kunst zwischen Repräsentation und Amusement (Publikationen des Instituts für österreichische Musikdokumentation 41), Wien: Hollitzer 2019.